Digital gestützte Angebote zur Perspektivenerweiterung, Individualisierung und Flexibilisierung in interdisziplinären Projektarbeiten
Eine Herausforderung bei der Durchführung von interdisziplinären Projektarbeiten sind die unterschiedlichen Voraussetzungen, die die Studierenden verschiedener Studiengänge in die Gruppe einbringen. Mit Hilfe digital gestützter Angebote möchte das Tandem-Fellowship von Dr. Valentin Khaydarov und Julius Lorenz von der TU Dresden eine Möglichkeit schaffen, um die individuelle Wissenserweiterung zu unterstützen. Im Interview beschreiben Dr. Khaydarov und sein Kollege Jonathan Mädler, wie dies in ihrer Lehre erfolgen kann.
Welche digital gestützten Angebote haben Sie entwickelt, um der Herausforderung der Heterogenität Ihrer Studierenden zu begegnen?
Dr. Khaydarov & Herr Mädler: Tatsächlich sind wir noch mittendrin. Wir arbeiten an digitalen Lehr-Lern-Modulen mit denen überwiegend in asynchroner Weise Wissen zum Thema „Prozessführung“ vermittelt werden kann. Die Lehr-Lern-Module gliedern sich dabei in unsere Lehrveranstaltung „Simulation und Optimierung“ ein, die über die Grenzen der Fakultäten Elektrotechnik und Informationstechnik sowie Maschinenwesen der TU Dresden hinweg von Studierenden der Elektrotechnik, der Mechatronik, der Informationssystemtechnik, der Regenerativen Energiesysteme sowie der Verfahrenstechnik und Naturstofftechnik gemeinsam gehört wird. Kern der Lehrveranstaltung ist eine Projektarbeit auf Basis einer praktischen Aufgabe – z. B. aus unserem industrienahen Labor für modulare Prozessanlagen, dem Process-to-Order Lab (P2O-Lab). Diese Projektarbeit wird von den Studierenden in interdisziplinär zusammengesetzten Gruppen bearbeitet. Um den Studierenden einen guten Start in diese Projektarbeit zu geben, müssen wir ein Level Playing Field schaffen. Denn es besteht die Herausforderung, dass hier Studierende mit verschiedenen Ausbildungshintergründen – wie auch später in der Industrie – zusammenarbeiten sollen. Dafür ist zumindest ein grundlegendes Verständnis für das Handwerkszeug des jeweiligen Gegenübers erforderlich. Dieses Verständnis haben wir in der Vergangenheit in Form einiger anwendungsorientierter Vorlesungen und Übungen in der ersten Semesterhälfte vermittelt. Im Rahmen von LIME erarbeiten wird nun digitale Lehr-Lern-Module für diese Aufgabe. Der digitale, asynchrone Charakter hat dabei zusätzlich den Charme, dass wir verschiedene internationale Expert:innen auf ihren jeweiligen Fachgebieten darum bitten konnten, eines oder mehrere Lehr-Lern-Module mit Themen aus ihrem jeweiligen Gebiet der Expertise zum Curriculum beizutragen. Das erhöht die Vielfalt ungemein. Ein Lehr-Lern-Modul besteht dabei aus einem motivierenden Einführungsvideo, drei Videos mit Lightboard-Unterstützung zur Wissensvermittlung, einem vertiefenden Skript sowie 2-3 Übungsaufgaben mit Programmieranteil und Self-Assessmentfunktion auf Basis von MATLAB Grader.
Wie stellen Sie sicher, dass die Studierenden die zu ihnen passenden Angebote finden und auch nutzen?
Dr. Khaydarov & Herr Mädler: Wie bereits angesprochen, sind die Inhalte Teil unserer Lehrveranstaltung „Simulation und Optimierung“. Wir planen die Inhalte in der ersten Iteration dieses Konzepts über einen entsprechend aufgebauten OPAL-Kurs bereitzustellen, auf den wir dann in der Lehrveranstaltung verweisen werden. Ähnliches haben wir bereits in der Corona-Hochzeit in 2020 getan. Die Lehr-Lern-Module zu den verschiedenen Themen werden dann in Form von Strukturbausteinen angeboten, unter denen die Videos, das Skript und die Übungsaufgaben eingebunden werden können. Die Videos hosten wir über den Video Campus Sachsen. Wir planen allerdings zusätzlich die Veröffentlichung über YouTube, um eine höhere Reichweite über unsere eingeschriebenen Studierenden hinaus erreichen zu können. Für die Integration der Übungsaufgaben arbeitet MathWorks gerade an einer Integration von MATLAB Grader in OPAL. Es ist allerdings noch nicht klar, ob wir diese Integration zu Beginn des nächsten Wintersemesters schon nutzen können oder die entsprechenden Aufgaben eben aus OPAL verlinken müssen.
Zu jedem Lehr-Lern-Modul wird es zusätzlich eine Q&A-Session mit kleinen Problemstellungen zur Anregung von Diskussionen geben. Darüber hinaus hoffen wir, dass der Kompetenzerwerb für die Bearbeitung des Projekts und die individuelle mündliche Prüfung die Nutzung der Inhalte ausreichend motivieren. Sowohl OPAL als auch MATLAB Grader bieten aber auch die Möglichkeit für kleine, automatisch auswertbare Tests, die man in Zukunft in Betracht ziehen könnte, um z. B. durch Bonuspunkte oder eine Umwandlung der mündlichen Prüfung zusätzliche Motivation zu schaffen und die Transparenz bzgl. der Nutzung zu erhöhen.
Welche Veränderungen innerhalb der Gruppenarbeiten konnten Sie nach der Integration der digitalen Angebote bereits erkennen?
Dr. Khaydarov & Herr Mädler: Bei der plötzlichen Umstellung auf digitale Lehre in 2020 konnten wir beobachten, dass die asynchrone Lehre prinzipiell funktioniert, aber stark von der Qualität der zur Verfügung gestellten Materialien und der Gestaltung der Q&A-Session abhängt. Mit den Lehr-Lern-Modulen setzen wir da an und konzentrieren uns vor allem auf die leichte Zugänglichkeit der Materialen und eine Strukturierung der Angebote je nach vorhandenem Vorwissen und Hintergrund. Insbesondere die Begriffe und Sichtweisen aus den anderen Fachdisziplinen stehen im Vordergrund, so dass die Phase des Team-Buildings für die Gruppenarbeit gut unterstützt werden kann. Nach dem richtigen Ausrollen des Angebots im WS 2022/23 können wir hier dann weiterberichten, ob der Plan auch aufgegangen ist.
Was empfehlen Sie anderen Lehrenden, die eine interdisziplinäre Projektarbeit umsetzen möchten?
Dr. Khaydarov & Herr Mädler: Eine gute Projektarbeit in interdisziplinären Gruppen beginnt mit einer frühzeitigen Vorbereitung der Aufgabenstellungen. In der Vergangenheit haben wir dafür Use Cases von Industriepartnern, von anderen Professuren oder aus unserem eigenen Labor für modulare Anlagen – P2O-Lab – verwendet. Für die Abstimmung von Aufgabenstellungen mit Externen – insbesondere Industriepartnern – ist unserer Erfahrung nach eine Vorlaufzeit von mindestens 9 Monaten erforderlich. Hier sind erfahrungsgemäß einige organisatorische Hürden wie z. B. Geheimhaltungsfragen zu bewältigen. Erstellen Sie die Aufgabenstellungen intern, ist es empfehlenswert wenigstens 6 Monate vorher zu beginnen. Wir favorisieren problemorientierte, eher offene Aufgabenstellungen, die der Kreativität unserer Studierenden wenig Grenzen setzen. Die Projektaufgabe soll leicht nachvollziehbar sein, aber gleichzeitig eine Herausforderung beim Lösen darstellen. Das Ziel ist klar, der Weg darf frei mit Hilfe der zur Verfügung stehenden Werkzeuge beschritten werden. Die Herausforderung bei Aufgabenstellungen für Projektarbeiten in interdisziplinär zusammengesetzten Gruppen ist, dass im Vorhinein abgeschätzt werden muss, dass für jedes Kompetenzprofil ausreichend Arbeitsanteil enthalten ist. In unserem Fall übernehmen die Verfahrenstechniker üblicherweise die mathematische Modellierung der verfahrenstechnischen Systeme, während die Studierenden aus den Studiengängen der Fakultät Elektrotechnik und Informationstechnik eher die automatisierungstechnischen Aspekte bearbeiten. So weit so erwartbar. Meist übernimmt die letztgenannte Gruppe aber zusätzlich auch den überwiegenden Anteil der Programmierung der Modelle. Die sind da einfach fitter. Die Projektarbeit sowie die Themen sollten frühzeitig im Semester angekündigt werden. Dabei ist es auch wichtig, die Motivation hinter der interdisziplinären Projektarbeit zu vermitteln. In unserem Fall ist dies sehr leicht. Für unsere Studierenden in den genannten Ingenieursstudiengängen wird diese interdisziplinäre Arbeitsweise später ein typisches Arbeitsszenario darstellen. Wir bieten den Studierenden die Chance, wichtige Softskills zu entwickeln. Die Projektgruppen sollten nach etwa zwei Wochen eingeteilt werden. Dies gilt zumindest für Wahlpflichtmodule. Man sollte die Gruppen so früh wie möglich einteilen, denn die Gruppenmitglieder unterstützen sich häufig auch über die Projektarbeit hinaus beim Lernen der Lehrinhalte und empfinden dies als große Bereicherung. Allerdings ist die Menge der Studierenden, die tatsächlich dauerhaft an der Lehrveranstaltung teilnehmen, meist erst nach zwei Wochen stabil. Zum Projektstart brauchen viele Gruppen ein wenig Unterstützung, weil sie sich gegenseitig und die Fähigkeiten der anderen häufig noch nicht kennen. Fachlich helfen die gemeinsamen Vorlesungs- und Übungsinhalte, menschlich ist die Vereinbarung eines gemeinsamen Kick-Off-Meetings hilfreich. Dieses Meeting führen die Studierenden gemeinsam mit dem der jeweiligen Aufgabe zugeteilten Betreuer durch. Darüber hinaus hat sich für uns eine weitere Strukturierung der Projektarbeit mit Hilfe eines Zwischenberichts und einer Abschlusspräsentation bewährt.